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Hinter dem Rathaus 3 (Quartier 29)

Straßenansicht

Hofansicht

Altes Stadtbuch 1680: Nr. 33 (Brauhaus)

Wasserleitungsplan 1710: mit Wasserleitungsanschluss

Glashoff-Karte 1833: Nr. 199

   

 

Auszug Stadtbildatlas 1993

 

Grundstück und Bebauung
Das Grundstück erstreckt sich quer durch den Block bis zur Bademutterstraße und besitzt dort eine Zufahrt. Die Bebauung besteht heute aus dem giebelständigen zweigeschossigen Vorderhaus, einem zweigeschossigen Kemladen mit Pult- bzw. Satteldach sowie einem weiteren zweigeschossigen Anbau mit Flachdach. Weiterhin stehen auf dem Hof einige eingeschossige Nebengebäude mit Flach- bzw. Pultdächern.
Auf der Glashoff-Karte 1833 sind das Vorderhaus, der Kemladen sowie die durchgehende Bebauung zur Bademutterstraße gut erkennbar, die Umrisse des Vorderhauses und des Kemladens stimmen mit dem heutigen Bestand überein.

Datierungen
· Dach Vorderhaus: 36 Proben, Eiche, davon vorderer und hinterer Teil: 13 Proben „Winter 1354/55“; mittlerer Teil: 2 Proben „Winter 1537/38“, 5 Proben „um 1539 (+11/-0)“
· Hausbaum: Eiche, „1540“; weitere Proben „1539“, „1538“, „um/nach 1541“
· Ständer nördlich Hausbaum: Eiche, „1733“; 4 weitere Proben aus Fachwerk-Innenwänden, Kiefer, „1733“ und „nach 1726“
· Dach Kemladen: 20 Proben, Eiche, davon 11 Proben zwischen „Winter 1539/40“ und „Sommer 1543“
· Deckenbalken Kemladen: 1 Probe, Eiche, „1542“; 2 Proben, Kiefer, „1726“, 1 Probe, Kiefer, „kurz nach 1726“
· Kemladen: Zwei wiederverwendete Bauteile „1353“ und „1359 +/-10“

Kurzbeschreibung und bauhistorische Wertung
Vorderhaus und Kemladen zählen zu den baugeschichtlich wertvollsten und vielschichtigsten Bauten in der Wismarer Altstadt. Sie werden als Restaurant „Weinberg“ genutzt, in dessen Mittelpunkt die über 6 m hohe Diele im hinteren Bereich des Vorderhauses steht. Auf der Grundlage einer Bestandsaufnahme, eines restauratorischen Gutachtens und umfangreicher dendrochronologischer Untersuchungen sind wir über die Baugeschichte gut informiert. Weitere Erkenntnisse sind im Rahmen baubegleitender Untersuchungen zu erwarten.

Das Vorderhaus wird bis heute von umfangreicher Bausubstanz aus der Zeit vor 1700 geprägt. So sind die Brandmauern (vermutlich 14./15. Jh.) bis zum Dach erhalten. Der vordere und der hintere Teil des Dachwerks stammen ebenfalls noch aus dem 14. Jh. (Kehlbalkendach mit drei Kehlbalkenlagen, Dachneigung ca. 58 Grad; Firstverbindung als Scherzapfen mit Holznagel, Sparren-Kehlbalken-Verbindung als Schwalbenschwanzblatt mit Holznagel; in diesen Bereichen gerissene Abbundzeichen in Strichaddition, auf der Westseite mit zusätzlichem Diagonalstrich zur Seitenunterscheidung). Die mittelalterliche Dielenhöhe ist mit etwa 4,70 m zu rekonstruieren, darüber lag das ca. 3,60 m hohe Obergeschoss.

Durchgreifende Veränderungen erfolgten im 16. Jh.: neben dem Anbau des Kemladens (s.u.) wurde der mittlere Teil des Dachwerks erneuert (erkennbar an den Abbundzeichen: auf der Westseite geritzte Abbundzeichen mit Fähnchen, auf der Ostseite geritzte Abbundzeichen mit gestemmten Rechtecken, in römischer Zählweise). Die Dielendecke wurde etwa 1,50 höher gelegt und ein Unterzug mit Ständern, Sattelholz und Kopfbändern eingebaut. Die Höhe des Obergeschosses reduzierte sich durch diesen Umbau auf etwa 2 m. Fachwerkeinbauten in der Diele sind für diese Zeit anzunehmen. Vermutlich entstand in dieser Zeit auch der Fachwerk-Hofgiebel (aufgrund durchgreifender Erneuerung in den 1980er Jahren nur noch auf historischen Fotografien dokumentiert).

Im 17. und 18. Jh. wurde im Inneren neue Räume angelegt, insbesondere im vorderen Hausteil: dort wird spätestens zu diesem Zeitpunkt das Dielengeschoss zweigeschossig ausgebildet und in der oberen Ebene ein repräsentativer Raum geschaffen, der über eine Treppe von der Diele erschlossen wird (vermutlich mit einem Geländer aus halbplastischen Balustern, die allerdings nur in Zweitverwendung an anderer Stelle erhalten sind). Weiterhin wird der Straßengiebel neu gestaltet. Die dreiachsige Fassade teilt sich in zwei Abschnitte: das Erd- und Obergeschoss mit Quaderputz, über dem Hauseingang eine Bacchusfigur von 1710. Das darüber liegende Giebelfeld viergeschossig ausgebildet, die Mittelachse durch kannelierte Kolossalpilaster betont und mit Dreiecksgiebel abgeschlossen. Die seitlichen Giebelteile von rustizierenden Pilastern gerahmt. Von den Voluten ausgehend leicht geschwungener Giebelumriss. Die seitlichen Achsen in den beiden oberen Geschossen mit segmentbogigen Luken.

Im 19. Jh. erfolgten Modernisierungen im Gebäudeinneren (Beläge, Bekleidungen, Installationen etc.) sowie (um 1873) die Erneuerung der Putzgliederung der Straßenfassade in Neorenaissance-Formen, die 1989 wieder rückgängig gemacht wurde. Prägende Eingriffe des 20. Jh. waren insbesondere die historisierende Erneuerung der Treppenanlage in der Diele mit plastischen Balustern in den 1920er Jahren sowie die Neugestaltung der Bemalung der Dielendecke.

Der zweigeschossige Kemladen mit massivem Erd- und Fachwerk-Obergeschoss entstand um 1542 offensichtlich im Zusammenhang mit den Umbauten im Vorderhaus und hatte vermutlich keinen Vorgängerbau. Er zählt zu den ältesten datierten Fachwerkbauten in Mecklenburg. Ursprüngliche, z.T. sehr große Fensteröffnungen im EG ablesbar. Aussteifung des Fachwerks z.T. durch Andreaskreuze, erster Anstrich auf Ausfachungen rot, Zierausfachungen.

Im Erdgeschoss heute der Küchenausbau für das Restaurant im Vorderhaus. Im Obergeschoss bis in die 1970er Jahre eine 2,50 x 3,00 m große Decke aus Brettern, die mit stilisierten Weinranken bemalt waren; heute in der Heiligen-Geist-Kirche. Im Obergeschoss heute noch ein ca. 3,80 x 2,00 m großer Abschnitt mit Renaissance-Deckenmalerei erhalten.

Dach ursprünglich durchgängig als Pultdach ausgebildet, nördlicher Teil um 1726 zum Satteldach umgebaut. Pultdach-Konstruktion des südlichen Teils mit einer Kehlbalkenlage und einfach stehendem Stuhl unter der Sparren-Kehlbalken-Verbindung. 9 Gebinde, Dachneigung ca. 45 Grad. Firstverbindung als Scherzapfen mit Holznagel, die Sparren-Kehlbalken-Verbindung als Schwalbenschwanzblatt mit Holznagel. Die östliche Wand besteht aus ummauertem Fachwerk, die Ständer und Riegel gezapft und die Streben sowie die Kehlbalken angeblattet. Abbundzeichen sind nur auf der Westseite vorhanden: geschlagene Abbundzeichen in römischer Zählweise.

Dachkonstruktion des nördlichen Teils als Satteldach: Kehlbalkendach mit einer Kehlbalkenlage. 9 Gebinde, Dachneigung ca. 54 Grad. First- und Sparren-Kehlbalken-Verbindung gezapft mit Holznagel. Auf der Westseite geritzte Abbundzeichen mit Fähnchen in römischer Zählweise, auf der Ostseite geschlagene Abbundzeichen in römischer Zählweise, nach Süden ansteigend. Viele Hölzer in diesem Bereich zweitverwendet (alte Blattsassen, Zapflöcher).

Eigentümer und Bewohner im 17. und 18. Jahrhundert
· Herr (Ratsherr) Daniel Sandow (Erbe, 1596)
· Bürgermeister David Sandow, (Erbe, vermutlich vor 1637, nachgetragen); Bürgerbuch: David Sandow, 29.8.1615, Bürgersohn
· Zacharias Schnor (Kauf, 1637); Bürgerbuch: Zacharias Schnor, 28.3.1618, Bürgersohn
· Doktor David Ranitz (Kauf, 1638); Bürgerbuch: D. David Ranitz, 4.5.1633, Bürgersohn
· Gödert Roterdam (Kauf, 1648); Bürgerbuch: Gödert Rotterdamm, 22.3.1645, Raths Weinschenker, v. Lübeck
· Martin Röseler (Kauf, 1661); Bürgerbuch: Martin Röseler, 13.9.1651, Kaufgesell, v. Rostock
· Türkensteuer 1665: Kaufmann Martin Röseler mit Frau, Magd, Handwerks- und Dienstjunge sowie Ochsen und Kühe, 3 Reichstaler und 12 Schilling.
· Jochim Ratke Jochim Sohn (1687); Bürgerbuch: Jochim Rathke junior, 21.7.1677, Bürgersohn
· Harmen Fischbek (Kauf, 1696)
· dessen Witwe und Erben (Erbe)
· Christian Zincke (Kauf, vermutlich vor 1710, nachgetragen); Bürgerbuch: Christian Zinke, 17.12.1692, Bürgersohn
· Fridrich Philip Pommer (Kauf, 1710); Bürgerbuch: Friedrich Philipp Pommer, 26.11.1710, Weinschenk
· Andreas Heyn (aus Konkurs, 1729)
· dessen Witwe und Erben (Erbe, vermutlich vor 1737, nachgetragen)
· Marcus Holst (Kauf 1737); Bürgerbuch: Marcus Holste, 13.12.1713, Krämer
· dessen Witwe und Erben (Erbe, vermutlich vor 1749, nachgetragen)
· Elisabeth Angermannen, Marcus Holsten Witwe (Erbe und Kauf, 1749)
· Anton Matties Schwartzkopf (Kauf, 1751)
· Anton Matties Schwartzkopff Witwe und Kinder (Erbe, vermutlich vor 1803, nachgetragen)
· dessen Sohn (Erbe und Transaktion, vermutlich vor 1803, nachgetragen)
· dessen Witwe Dorothea Elisabeth, geborene Ahrnsen, Erbe und Tansaktion (vermutlich vor 1803, nachgetragen)
· Peter Hartwich Rehm oder: Behm? (Kauf, vermutlich vor 1803, nachgetragen)
· dessen Witwe (Erbe und Transaktion, vermutlich vor 1803, nachgetragen)
· Johan David Kindler (Kauf, vermutlich vor 1803, nachgetragen); Bürgerbuch: Johann David Kindler, 1.2.1787, Weinhändler, Bürgersohn
· Volkszählung 1799, Nr. 144: Weinhändler Kindler mit Frau, 1 männliches, erwachsenes Kind bzw. Hausgenosse über 12 Jahren, 1 Lehrbursche, 1 Knecht und 1 männliches Kind bzw. Dienstbote unter 12 Jahren, 2 Mägde.

Literatur und Quellen
· Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Mecklenburg-Vorpommern. Bearbeitet von Hans-Christian Feldmann. München/Berlin 2000, S. 699.
· Institut für Denkmalpflege (Hrsg.): Die Bau- und Kunstdenkmale in der DDR. Mecklenburgische Küstenregion. München 1990, S. 147 (dort unter Lübsche Str. 31).
· Christel Kindler: Der Wismarer „Weinberg“. Zur Geschichte des Hauses und seiner Besitzer. In: Wismarer Beiträge, Heft 12 (1996), S. 13-19.
· Akten der Hansestadt Wismar (Bauordnungs- und Denkmalamt, Stadtarchiv).
· Dendrochronologisches Gutachten der Universität Hamburg, Fachbereich Biologie, Juli 1996.
· Matthias Zahn: Restauratorische Voruntersuchungen am Gebäude Hinter dem Rathaus 3/Dendrochronologische Untersuchungen. Groß Rogahn 2002.
· Prof. Dipl.-Ing. Jasper Herrmann, Architekt BDA: Bestandszeichnungen M 1:50 (Grundrisse, Schnitte, Ansichten), Stralsund 2002.

 

Auszug Glashoff-Karte 1833

 

Auszug Wasserleitungsplan 1710

 

Historisches Foto